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Kein Standpunkt ohne Fragen
Im Lauf der letzten Woche sind 20'000 Menschen an Malaria gestorben. Ein schöner erster Satz für eine Kolumne zu Ebola.
Nein, schön ist der Satz natürlich nicht, er ist fürchterlich, aber genau deshalb auch gut als Eröffnung dieser Kolumne.
Aber ist es nicht geschmacklos, eine Kolumne über tausendfachen Tod zu schreiben und sich dabei Gedanken über Ästhetik zu machen?
Wie aber schreiben ohne solche Gedanken? Und die Geschmacklosigkeit liegt ja noch vorher darin, tausende Tote mit zehntausenden zu relativieren. Oder nicht?
Zum Glück habe ich nicht im Sinn, eine Kolumne zu Ebola zu schreiben. Warum sollte ich auch?
Oder ist es nicht absonderlich, über Dinge zu schreiben, die für mich nur in der Zeitung stattfinden und aller Voraussicht nach niemals aus dieser Zeitung herauskommen werden in mein Leben hinein? Wozu über solche Dinge eine Meinung haben und für wen?
Nun ist mein Optimismus vielleicht trügerisch, wonach gewisse Dinge mich nie anders anspringen werden denn als Buchstaben aus der Zeitung heraus.
Aber auch wenn sie in der Zeitung bleiben, könnte man sagen, gehören sie trotzdem zum Leben von demjenigen, der von ihnen liest.
Immerhin hat, was in den Zeitungen über den Kampf um das Städtchen Kobane geschrieben steht, in seiner Zeit stattgefunden an einem so und so viele Kilometer entfernten Ort.
Nein, ich werde mir keinen ersten Satz überlegen für eine Kolumne über Kobane. Was nicht heisst, dass ich keine Meinung dazu habe. Oder heisst es eben das?
«Ich habe keine eigene Meinung. Bei jeder meiner Meinungen weiss ich, woher ich sie habe.» Mit diesen Sätzen hat Martin Walser eine Kolumne angefangen, die er Mitte der 80er Jahre für die Weltwoche geschrieben hat.
Aber natürlich hat er kokettiert, der Walser. Oder nicht?
Und manchmal ist es doch ganz einfach. Wie die Weltwoche in ihrer aktuellen Ausgabe den Professor Sarasin attackiert, das ist eine Sauerei, das ist doch ganz klar, da ist meine Meinung gemacht, kaum habe ich von der Sache erfahren.
Und im gleichen Tempo und hinweg gesprungen über jede noch so geringe Reflexion machen die SVPler in der gleichen Sache ihre Meinung und rufen ebenfalls: Sauerei – einfach in die andere Richtung.
Aber so kann man das natürlich nicht relativieren, beziehungsweise kann man schon, aber es bleibt dann nur noch das Schweigen, so ganz ohne Standpunkt und ohne Handhabe, das eigene Lager von dem der Gegner und also die Guten von den Bösen zu unterscheiden, kommt keine Meinung zustande.
Und die braucht es doch, wenigstens wenn man eine Kolumne schreibt. Auch wenn sie Blog heisst.
Ich gebe zu, ich bin nicht sicher, ob ich nicht nur fälschlicherweise der Meinung bin, Kolumne und Blog seien zwei Namen für die gleiche Sache.
Aber zu Kolumnen alias Blogs gehören doch auch falsche Meinungen? Nur ohne Meinung geht es nicht. Oder doch?
Gehört zu einer Kolumne notwendigerweise eine Meinung? Wäre es nicht ein Beweis für die Kunstfertigkeit im Verfassen von Kolumnen, eine zu schreiben, ohne eine Meinung zu haben?
Und noch wichtiger: Ohne dass der Leser eine Meinung vermisst?
Und kann ich jetzt hier einfach aufhören? Mit einem Fragezeichen?
Ein Blog-Beitrag von «Bern ist überall» im Journal B. Zuletzt: Vor den Vorhang treten – jetzt! von Guy Krneta.
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