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Yeboaa Ofosu

Literaten als Sieger (Teil 1)

Literatur und Wettbewerb begegnen sich öfter, als wir denken: Im unmittelbaren Vortragswettbewerb des Poetry Slam, in öffentlich ausgeschriebenen Wettbewerben oder nach Verhandlungen von Literatur durch nichtöffentliche Jurys sind LiteratInnen auch immer wieder SiegerInnen oder VerliererInnen. Hier in zwei Teilen vier Beispiele aus den letzten Monaten – und eine ganz spezifische Frage an den Poetry Slam und sein 20-jähriges Jubiläum.

Das Frühjahr 2018 in der Literatur: Neben zahlreichen Buchvernissagen und klassischen Festivals wie dem Internationalen Lyrikfestival in Basel, dem Lyrikfestival Neonfische in Lenzburg, dem Wortlaut Festival in St. Gallen, Literaare in Thun, Aprillen in Bern und bald den Solothurner Literaturtagen gingen prominent und unter grossem Interesse des Publikums vier Veranstaltungen über die Bühne, in denen Poetinnen und Poeten eine andere Funktion innehatten als bei den klassischen Veranstaltungen: Sie traten an zum Sieg. Ihre Texte haben nicht Buchform, sie entstanden entweder situativ oder folgten einem Auftrag.

Die in der ganzen Deutschschweiz wirkenden Veranstaltungen ICON Poets der Gebrüder Frei aus Bern, die Schweizermeisterschaft des Poetry Slam in Winterthur und der sogenannte Bund-Essaywettbewerb des Medienhauses Tamedia sind Beispiele solcher Wettbewerbsveranstaltungen.

17.3. – Turnhalle des Progr Bern: ICON- Poets

Vier teils renommierte spoken-word- KünstlerInnen haben zugesagt, an einem runden Tischli vor Publikum zusammenzusitzen und innerhalb dreier Minuten einen Text zu verfassen zu einem vom Moderator vorgegebenen Thema. Dieser Text, er darf gerne lustig sein, ist von den Poeten allerdings nicht gänzlich frei zu verfassen, sondern er wird von einem Würfelspiel mitbestimmt. Vier Würfel werden auf das Tischli geworfen. Jeder weist ein Symbol auf, zum Beispiel einen Hund, einen Koffer, eine Gabel, einen Tresor, einen Putzbesen, zwei Socken oder einen Totenkopf. Die entstehenden Texte müssen die von den Symbolen dargestellten Dinge (Hund, Koffer ...) beinhalten.

Ein vom Moderator vorgegebenes Thema kann lauten: Erkläre der Steuerbehörde, weshalb du die Steuererklärung in den vergangen drei Jahren nicht eingereicht hast. Oder: Verfasse eine Durchsage aus dem Lautsprecher der SBB, die den Leuten erklärt, weshalb der Zug nun einige Stunden stehen bleibt. Dann also drei Minuten Stille. Für die konzentrierte Auftragsarbeit der vier PoetInnen. Danach sollen die vier Poeten ihre hoffentlich lustigen, stossenden, auffälligen, ausfälligen Texte vorlesen. Während der drei Minuten schreibt das Publikum mit. Es ist aufgefordert, die Aufgabe mitzumachen. Der Zweck: Kommt einer oder eine mit der gestellten Aufgabe nicht zu Rande, darf er oder sie zweimal am Abend aus dem Publikum einen Joker ziehen und sich durch diesen vertreten lassen.

So geht das acht Runden. Die Jury ist das Publikum: sein Klatschen bekundet die Wertung. Die Summe der gewonnen Runden macht schliesslich den Sieger, die Siegerin. Der Abend schliesst mit einer ebenfalls spontan vorgetragenen Dankesrede der Siegerin, des Siegers.

22.-24.3. – Casinotheater Winterthur: Schweizermeisterschaft des Poetry Slam 2018

Der noch amtierende Schweizermeister und also Sieger der Meisterschaft 2017 hiess Dominik Muheim. Er hatte sich in Olten gegen den zuletzt amtierenden Meister Remo Zumstein durchgesetzt. Dieses Jahr nun fand die Schweizermeisterschaft in Winterthur statt; der amtierende Meister fiel auf die hinteren Ränge zurück und am Ende der drei Tage hiess der neue Meister – verdientermassen – Kilian Ziegler. Er setzte sich durch, äusserst knapp, gegen die auffällige und ebenso zur Meisterin geeignete Patti Basler.

Der Anlass ist eine Anstrengung für alle Beteiligten. Die OrganisatorInnen und ModeratorInnen leisten Präzisionsarbeit für diese geradezu geometrische Veranstaltung, in der durch vier Vorrunden und zwei Finales alles gerecht abzulaufen hat. Das Publikum weiss zu jedem Zeitpunkt, was zu tun ist; es ist nicht nur Jury, sondern folgt geflissentlich auch jeder Aufforderung zum Applaus.

Der Ablauf: In vier Vorrunden werden die FinalistInnen herauskristallisiert. Im Teamfinale und im Einzelfinale werden schliesslich die SiegerInnen erkoren. (Mit der integrierten U20-Meisterschaft wird auch der Nachwuchs gefördert.) Der Ablauf ist eigentlich monoton. Die ModeratorInnen tun ihr Bestes zur Unterhaltung des Publikums, doch sie tun es in einem engen Korsett des Slam- und Wettbewerb-Prozederes und mit den immer gleichen Formulierungen.

Das Publikum der Vorrunden ist jung, zu den beiden Finales kommen auch reifere Semester dazu. Die Szenerie ist männerdominiert. Die beiden Frauen Lara Stoll (2016) und Patti Basler (2018) haben den Sieg knapp verpasst, wohingegen andere Frauen in diesem Wettbewerb schlicht nicht genügen.

Der Anlass fand heuer auch zur Feier des ungefähr 20jährigen Bestehens des Poetry Slam statt, einer Szene, deren exponiertere Vertreter durch Einzelprogramme mittlerweile auch einem breiteren Publikum bekannt sind: Gabriel Vetter, Renato Kaiser, Etrit Hasler (als tapferer Moderator übrigens auch der oben beschriebenen ICON-Poets-Veranstaltungen), Christoph Simon, Phibi Reichling, Hazel Brugger, Lara Stoll, Dominik Muheim, Remo Zumstein, Kilian Ziegler. Sie alle arbeiten mit Charme oder Wut, mit Poesie oder Trash, mit grenzwertigem Ausdruck oder absichtlich holpriger Anlehnung an klassische Texte. Und alle sind mehr als bereit, gegen andere anzutreten, sich direkt vom Publikum bewerten zu lassen und als SiegerIn oder VerliererIn die Szenerie wieder zu verlassen.

Die Texte, um dies in der Konkurrenz eigentlich geht, sind unterschiedlich. Die in der Szene so dringend benötigten Frauen enttäuschen, weil einige von ihnen das Publikum mit Dankesreden an ihre Eltern oder mit WG-Geschichten langweilen, die auch literarisch durchhängen. So schaffen sie es nicht bis ans Ziel. Die Finales aber enden in Freundschaft zwischen den GegnerInnen; die Intensität der Umarmungen der Ersten, Zweiten, Dritten, Vierten dieser literarischen Ausmarchung scheint echt. Es gibt offenbar mehr zu gewinnen als die im Slam übliche Flasche harten Alkohols.

Hier geht es zum zweiten Teil des Textes.

Ein Blog-Beitrag von «Bern ist überall» im Journal B.

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